Ultraleicht Trekking durch die Seealpen
- Britta Berger
- 12. Okt. 2024
- 15 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Mai
Allein durch die wilde Bergwelt der Alpi Marittime und Mercantour
Vor zwei Jahren landete ich durch Zufall am Lago di Rovina. Ich hatte vier Tage Zeit und wollte eigentlich zum Kiten an die ligurische Küste. Doch das stellte sich Mitte Juli als keine gute Idee heraus, da man mit dem Kite zwischen Strandliegen und Coco Bello kaum ein freies Stück Strand fand, um den Kite zu starten. Nach einer kurzen Recherche nach Stellplätzen für den Bus fand ich mich dann plötzlich im Parco Naturale di Alpi Marittime wieder – und war begeistert! Wunderschöne Berge, unzählige kristallklare Seen und ich mit unserem Bus mittendrin. Kein Handyempfang und einfach mal ein paar Tage nur für mich.
Dieses Gefühl wollte ich dieses Jahr intensivieren und plante, die Gegend noch minimalistischer und umso intensiver zu genießen. Der Plan war, mit dem 15-Liter-Speedhiking-Rucksack und so wenig Ausrüstung und Hilfe wie möglich die Alpi Marittime und den angrenzenden Parc National du Mercantour zu umrunden. Diese Region, die einige der schönsten europäischen Weitwanderwege beheimatet (wie die Grande Traversata delle Alpi alias GTA oder die Grande Traversée du Mercantour alias GTM), ist ein Paradies fürs Trekking, Trailrunning und Speedhiking. Meine grobe Route verbindet einige der beliebtesten Weitwanderwege der Alpen und bietet atemberaubende Ausblicke auf zerklüftete Gipfel und unzählige glitzernde Bergseen.
Vier Tage war ich unterwegs – mit dem Ziel, alles möglichst minimalistisch zu gestalten und meinen Fokus nur auf mich zu konzentrieren und im Rhythmus des Gehens meine Meditation zu finden. Bei der Trekkingausrüstung beschränkte ich mich auf das Wesentliche, von der ultraleichten Trekkingbekleidung bis hin zur sorgfältig ausgewählten veganen Trekkingnahrung. Doch da der erste geplante Termin im August wortwörtlich ins Wasser fiel, zwang mich das Wetter Mitte September, meinen ursprünglichen Plan anzupassen. Statt des kleinen Speedrunning-Rucksacks musste ich einen größeren Trekkingrucksack mitnehmen, um Zelt und mehr warme Kleidung unterzubringen. Der Wechsel vom Biwaksack zum Trekkingzelt war angesichts der kühleren Temperaturen wirklich notwendig – ich war schließlich zu der Zeit unterwegs, als in den nördlichen Alpen bis zu zwei Meter Neuschnee fielen. Doch obwohl das Wetter mich zu einem größeren Rucksack zwang, blieb mein Fokus auf Leichtigkeit und Einfachheit bestehen – mein Gepäck war letztendlich wahrscheinlich trotzdem leichter als so mancher Touristen-Tagesrucksack.

Die erste Nacht – Ich friere bereits im Bus
Die erste Nacht verbringe ich noch in unserem Bus am Lago della Rovina. Es war die Nacht, in der es in den nördlichen Alpen ordentlich Niederschlag, Überschwemmungen und den ersten wirklich ergiebigen Schneefall gab. Doch in den südlichen Alpen, wo ich meine Tour geplant hatte, war die Prognose gut. Nach der regnerischen und kalten Nacht sollten eigentlich vier Tage mit purem Sonnenschein folgen. Doch schon die Nacht im Bus ist richtig kalt. Die Kälte sitzt mir am Morgen noch in den Knochen, und nach einer kurzen Unterhaltung mit einem älteren Mann, der mit dem Zelt von der Schweiz nach Ventimiglia unterwegs ist, bemerke ich, dass er nicht aufhört zu zittern und sogar seine Zähne während des Sprechens klappern: „Suddenly it got sooo cold!“. Er ist meine Alarmglocke – ich packe zu meiner sorgfältig ausgewählten Bekleidung noch alles ein, was ich im Bus finde und nehme auch noch einige Brennstofftabletten mehr mit – so eine Nacht wie er will ich nicht erleben!

Tag 1: Lago della Rovina – Passo del Chiapous – Terme di Valdieri – Passo di Costa Miana – Laghi inferiori di Valrossa | 27 km, 2300 Höhenmeter
Mit einem nun doch viel schwereren Rucksack als geplant mache ich mich auf den Weg und genieße die ersten Sonnenstrahlen, die ein paar Höhenmeter über dem See endlich zu mir durchdringen. Die Alpi Marittime sind für ihre vielfältige Tierwelt bekannt und bereits am Parkplatz werde ich von Gämsen umzingelt. Nach 20 Minuten Gehzeit treffe ich dann auch auf den ersten Steinbock. Einer von unzähligen, die mir in den nächsten vier Tagen noch begegnen werden. Angeblich gibt es in der Gegend auch ein paar Wolfsrudel, doch das ignoriere ich gekonnt. Den ersten Teil des Weges bin ich vor zwei Jahren schon gegangen, und sofort stellt sich wieder dieses tiefe Gefühl von Ruhe von damals ein. Ja, jetzt bin ich unterwegs. Nur ich mit dem bisschen, was ich dabei habe. Ohne Empfang, ohne jegliche Hilfe. Das wird mir erst wirklich bewusst, als ich an ein paar verdächtig großen „Hundstrümmerln“ vorbeikomme. Neiiin, die Wölfe sind ganz weit unten – lalalala. Naja, als ich dann auch noch an einem Riss vorbeikomme, wird mir klar: Ich bin zwar allein unterwegs, aber allein bin ich nicht. Doch die Landschaft ist wunderschön und lässt keinen Zweifel an meiner Tour aufkommen.
Ich komme an vielen Markierungen für einen Traillauf vorbei, und am späteren Nachmittag treffe ich zwei Trailrunner, die ich natürlich gleich dazu befrage: „Ja klar, da ist morgen ein Lauf!“. Na, hätte ich das gewusst! Jetzt muss ich halt noch einmal kommen und dann wirklich auch mal schnell durch diese Gegend laufen!

Der erste Tag vergeht wie im Flug. Die Sonne wechselt sich immer wieder mit Wolken ab, doch je später der Tag wird, desto kälter wird es auch. Ich beschließe, mich eher langsamer und dafür länger zu bewegen – ich habe keine Lust, vor dem Zelt zu hocken und zu frieren. Wie kalt es wirklich ist, merke ich erst, als ein paar kleine Schneeflocken fallen. Na bravo! Ich suche mir auf der Karte einen Platz zum Schlafen, der möglichst windgeschützt ist, doch stelle fest, dass der Wind dort extrem durchpfeift und es eisig kalt ist. Hier kann ich nicht bleiben! Also gehe ich ein Stück weiter und finde schließlich ein Plätzchen, das halbwegs gerade und geschützt aussieht. Doch als das Zelt steht und ich meine Sachen hineinlege, merke ich, dass es schief steht – so kann ich nicht schlafen. Mist! Ein paar Meter weiter ist es etwas gerader – doch auch das ist weit entfernt von ideal. Hilft aber nichts, es wird dunkel und ist eiskalt – einen neuen Platz finde ich jetzt nicht mehr. So steht mir auf gut 2500 Metern Höhe eine wohl eher ungemütliche Nacht bevor.
Schnell koche ich mir Wasser für meine gefriergetrocknete Trekkingnahrung – zwei Päckchen pro Tag habe ich eingeplant. Während des Essens wird mir extrem kalt. Ich koche nochmal Wasser auf, um es in eine kleine Trinkflasche zu füllen und als Wärmflasche im Schlafsack zu verwenden und versuche dann zu schlafen. Doch kaum ist meine „Wärmflasche“ abgekühlt, wird es wieder eiskalt. Ich koche noch einmal Wasser und ziehe alles an, was ich habe – sogar die Regenhose muss herhalten. Es wird besser, doch meine Zehen bleiben eiskalt und auf der schiefen Matte rutsche ich immer wieder ab. Ich koche noch einmal Wasser und ziehe mir sogar die Hüllen von Matte und Schlafsack über die Füße, doch es bleibt einfach nur verdammt kalt. Viel Schlaf bekomme ich in dieser Nacht nicht und als es hell wird, koche ich mir schnell Haferflocken, um mich aufzuwärmen. Ich habe keine Ahnung, wie kalt es in dieser Nacht war, doch als ich meine kleine Müslischüssel mit Wasser fülle, um sie etwas später damit auszuspülen, hat sich schon kurz darauf eine Eisschicht an der Oberfläche gebildet. Ich muss mich bewegen, um warm zu werden, also packe ich meine Sachen zusammen und starte wieder los.
Tag 2: Laghi inferiori di Valrossa – Lago inferiore di Valscura – Rifugio Emilio Questa – Colletto del Valasco – Col de Frémamorte | 24 km, 1300 Höhenmeter (so zumindest der Plan)
Nach der schlaflosen Nacht tun die ersten Sonnenstrahlen verdammt gut. Mit der Bewegung tauen auch meine Zehen langsam wieder auf. Bis zum Lago inferiore di Valscura fühle ich mich wieder richtig fit und der See ist so wunderschön, dass alle Qualen der letzten Nacht schnell vergessen sind. Ich mache ein paar Fotos, als ich zwei Italiener sehe, die ebenfalls den See fotografieren. Ich springe zu ihnen und bitte sie, ein Bild von mir zu machen. Wir quatschen kurz, und dann gehe ich froh und munter weiter. Der Weg ist so schön, dass mir erst nach einigen Kilometern und Höhenmetern auffällt, dass ich in die komplett falsche Richtung gehe.
Eigentlich hatte ich meine Tour nur grob geplant, da ich im Voraus nicht wusste, wie weit ich jeden Tag kommen würde und mir etwas Flexibilität lassen wollte. Doch ich muss rechtzeitig zurück sein, also darf ich mir keine großen Ausreißer erlauben. Der Weg, den ich da eingeschlagen habe, wäre aber definitiv so ein unmöglicher Ausreißer gewesen. Er hätte mich außerdem in die Nähe eines Skigebiets geführt und die Vorstellung von Menschenmassen dort gefällt mir gar nicht. Nach mehreren Blicken auf die Karte (ich hatte eine Papierkarte und Offline-Karten dabei) wird mir klar, dass ich den ganzen Weg zurückgehen muss, um wieder auf meine Route zu kommen. Mist!

Nach diesem langen und wirklich ärgerlichen Umweg komme ich schließlich in eine Gegend, die so beeindruckend ist, dass ich den Fauxpas schnell vergesse. Zu Mittag erreiche ich eine Hütte und gönne mir nach der anstrengenden Nacht eine Portion Polenta. Das warme Essen tut richtig gut, doch danach überkommt mich die Müdigkeit und ich lege mich am See in die Sonne um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Am Nachmittag gehe ich weiter wie in Trance und die Stunden verfliegen. Plötzlich glitzert etwas am Boden, und ich finde einen wunderschönen kleinen Bergkristall. Der Tag wird immer schöner – mit glitzernden Steinen und atemberaubenden Seen und ich mittendrin. Beim Bivacco Giuglia schaue ich nach, ob es dort ein Plätzchen für mich gäbe, aber die kleine rote Biwakschachtel ist komplett voll! Darauf habe ich keine Lust und beschließe noch den nächsten Anstieg zu machen und auf der anderen Seite, schon im Parc National du Mercantour, einen Schlafplatz zu suchen. Auf dem Col de Frémamorte, der Grenze zwischen Italien und Frankreich, habe ich einen tollen Blick auf ein wunderschönes Seenplateau und bin mir sicher, dass ich da ein schönes geschütztes Plätzchen finde. Ich klappere dort alle Seen ab und baue mein Zelt dann auf etwa 2300 Metern Höhe auf einer geraden Fläche auf. Es ist warm genug für eine kurze Outdoor-Dusche und mein Abendessen koche ich auf einer kleinen Anhöhe. Frisch geduscht und mit einer warmen Mahlzeit in der Hand genieße ich den Sonnenuntergang und bin richtig froh, in diesem Moment genau an diesem Platz sein zu dürfen. Doch was ist das? Habe ich da wirklich einen Wolf heulen gehört? Spinn ich? Ok, meine Gedanken kreisen zwischen „Wie cool ist das denn bitte?“ und „Ach du Sch…!“. Egal, ich kuschle mich in meine gefühlten 25 Schichten Pyjama und meinen per „Wärmflasche“ vorgewärmten Schlafsack und schlafe – diesmal richtig gut. Nach einer wirklich angenehmen Nacht wache ich an diesem wunderbaren Ort wieder auf und bin einfach nur dankbar, dass mich diese Gegend aufnimmt und ich für eine kurze Zeit ein Teil davon sein darf.
Tag 3: Lacs de Frémamorte – Col de Salèse – Boréon – Lac de Trécolpas – Col de Fenestre – Gias Cabret – Pas du Mont Colomb – La Barme | 27km, 1700hm
Heute geht es erst einmal bergab. Ich steige durch einen wunderschönen Lärchenwald ab und bin begeistert, wie schön die Landschaft hier ist. So reich an Wasser, Tieren und doch gleichzeitig rau mit Felsen und schroffen Gipfeln. Ich verstehe, warum sich auch Wölfe hier so wohlfühlen. Ich bin auch nicht mehr so erschrocken über das Geheul vom Vorabend, eher freue ich mich über alles, was ich hier so intensiv und ungestört erleben darf. Man merkt es gar nicht, doch nach der Zeit wird man immer mehr ein Teil der Umgebung und die Gedanken des Alltags verschwinden allmählich. Man geht einfach, man ist einfach.
Als ich in Boréon ankomme, holt mich jedoch die Zivilisation wieder ein. Das Besucherzentrum und der Picknickplatz sind voller Menschen und plötzlich bin ich umringt von Lärm und Müll. Nichts wie weg hier! Doch das geht nicht so schnell – nach den letzten Tagen sind meine Beine nicht mehr ganz frisch und den Tag mit 1200 Höhenmetern Abstieg zu beginnen macht das nicht besser. Schritt für Schritt gehe ich weiter, bis ich langsam aber doch dem Getümmel entkomme. Mir begegnet eine bunte Mischung aus Influencern, Wanderern in Expeditionsausrüstung und Flanellhemden sowie eine Frau, die ihre Katze den Berg hinunterträgt.
Und plötzlich bin ich wieder komplett alleine unterwegs. Ich mache eine Pause und bemerke, dass mein Verpflegungsvorrat langsam zur Neige geht. Und auch der Blick auf die Karte erschreckt mich – ich komme viel zu langsam voran und müsste heute noch eine ordentliche Strecke schaffen, um morgen rechtzeitig beim Auto zu sein. Diese Erkenntnis gibt mir allerdings neuen Antrieb, meine Beine fühlen sich plötzlich wieder frisch an und ich lege noch eine ordentliche und wunderschöne Strecke zurück.

Auf der französischen Seite merkt man, dass hier mehr Weitwanderer unterwegs sind. Viele von ihnen tragen Rucksäcke, wo ich mit meinem Rucksack leicht reinpassen würde und einige suchen bereits früh nach einem Schlafplatz und bereiten alles für die Nacht vor. Offiziell darf man im Mercantour Nationalpark erst ab 19.00 Uhr sein Zelt aufstellen und man sieht, dass manche einfach nur mehr darauf warten, endlich ihr Zelt aufstellen zu dürfen. Ich bleibe hingegen bei meiner Taktik, so lange wie möglich in Bewegung zu bleiben und mir erst später einen Platz zu suchen. Kurz vor dem Pas du Mont Colomb komme ich an einem kleinen See vorbei. Er hat etwas Magisches, Gämsen lassen sich von meiner Anwesenheit nicht stören und trinken aus dem Wasser, während sich die untergehende Sonne darin spiegelt. Ich überlege kurz, ob ich schon hier mein Zelt aufschlagen soll, beschließe dann aber, noch weiterzugehen, um den Weg für morgen zu verkürzen.
Ich komme in einem engen Tal an und sehe schon beim Abstieg einen eventuell geeigneten Schlafplatz. Viel vom Sonnenunter- bzw. aufgang werde ich hier aber nicht erleben. Ich gehe noch ein Stück weiter, doch das Tal wird immer enger und am Ende steht außerdem ein Hütte. Direkt vor deren Nase möchte ich nicht schlafen und gehe doch wieder zurück, um weiter unten mein Nachtlager aufzuschlagen. Heute geht alles schon sehr routiniert. Kochen, Duschen, Wärmflasche vorbereiten, fertig. Ich schlafe auf einem kleinen Plateau und in der Abenddämmerung besuchen mich noch drei große schwarze Pferde. Schön! Und irgendwie beruhigt es mich zu wissen, dass sie in der Nähe sind, falls hier ein Wolf Unsinn im Kopf haben sollte. Und mit diesem Gedanken schlafe ich auch diese Nacht wieder gut.
Tag 4: La Barme – Passo di Pagarì – Lago Blu del Gelas – Bivacco Moncalieri – Passagio die Ghiacciai – Rifugio Soria Ellena – Colle delle Fenestrelle – Bacino del Chiotas – Lago della Rovina | 26km, 1900hm
Da ich an den vorherigen Tagen morgens immer recht getrödelt habe, stelle ich mir für heute einen Wecker, um früh aufzustehen. Doch es ist noch stockdunkel, als er klingelt und ich bereite meinen Kaffee sowie mein Porridge noch aus dem Schlafsack heraus vor. Letztendlich wird man geübter und ich komme rechtzeitig los. Doch das Wetter sieht düster aus – hoffentlich regnet es nicht. Ich habe einen schwierigen und langen Weg vor mir. In der Nähe der Hütte treffe ich auf zwei Wanderer, die ich nach dem Wetter frage. Sie verstehen kaum, was ich von ihnen will, bringen dann aber doch ein „Rain? No!“ heraus. Gut, ich bin beruhigt. Kurz darauf hat es nämlich schon der erste Anstieg ordentlich in sich – stark verblockt, steil und immer wieder verliere ich den Weg, bis ich per GPS wieder dorthin navigiere, wo er eigentlich sein sollte. Gut, dass ich am Morgen noch nicht wusste, dass sich das den ganzen Tag lang nicht wirklich ändern wird.
Meine geplante Route führt heute über einen gepunkteten Weg und davor habe ich etwas Respekt. Normalerweise habe ich kein Problem mit Steigen und Kletterpassagen – im Gegenteil, ich mag es, wenn es rau und felsig wird. Aber vor zwei Jahren wollte ich in dieser Gegend einen „Solo Esperti“-Weg gehen, bei dem dann aber sogar ich gestreikt habe – ein paar Grasbüschel in einer steilen Wand waren damals der Weg und ich musste demütig umdrehen. Doch heute liegt davor noch eine Hütte auf der Route und ich beschließe, dort nachzufragen, wie schwer der Weg ist. Sollte er wirklich zu heftig sein, müsste ich einen langen Umweg ins Tal und wieder nach oben machen, den ich vor meiner sechsstündigen Heimfahrt eigentlich vermeiden möchte.

Ich kämpfe mich durch die Blockfelder zur Hütte, doch sie ist geschlossen. Mist! Die Gabelung der beiden Wege ist 10 Minuten entfernt – dort wird wohl ein Schild stehen, das über den Schwierigkeitsgrad informiert. Bei den Schildern angekommen, bin ich erleichtert: Nur die Passaggio dei Ghiacciai ist für „Escursionisti esperti“ gekennzeichnet, die nächste Hütte zu der ich muss, ist ohne einen solchen Hinweis angeschrieben. Sehr gut, dann ist es doch machbar!
Ich kämpfe mich durch weitere Blockfelder und Geröll, vorbei an Altschneefeldern und imposanten Gipfeln, bis ich plötzlich vor einer Felswand und dem Schild zum Passo dei Ghiacciai stehe. Was? Der liegt auf dem Weg zur Hütte? Oh nein! Jetzt umzukehren wäre keine Option mehr, das würde bedeuten, dass ich erst spät – wenn überhaupt – und im Dunkeln beim Auto ankäme. Ich beschließe, mich von meiner früheren Erfahrung und diesem „Schreck“ nicht beunruhigen zu lassen, esse und trinke noch mal und verstaue meine Stöcke um ordentlich klettern zu können. Ich setze ein Bein vor das andere und klettere auf den schmalen Grat, der auf beide Seiten steil abfällt. Eigentlich mag ich sowas wirklich gerne, aber ich habe Christian zuhause noch versprechen müssen, kein Risiko einzugehen – schon gar nicht alleine und müde. Doch ich habe keine andere Wahl und kraxle den Grat entlang, bis ich zu den Gebetsfahnen gelange, bei denen mir Tränen über die Wange kullern. Hier lösen sich einige Emotionen und ich sauge dieses Gefühl, mutig gewesen zu sein und es geschafft zu haben, ganz tief auf. Ein besonderer Moment für mich. Auch weil ich spüre, dass Chrisi darüber nur geschmunzelt hätte.

Doch als ich denke, es geschafft zu haben, sehe ich, dass ich noch ein steiles Altschneefeld queren muss. Jemand war bereits vor mir hier, aber mit Grödeln oder Steigeisen. Super, ich habe nur meine ultraleichten Trailrunningschuhe an. Hilft nichts, da muss ich jetzt auch noch drüber. Mit festen Tritten und ordentlichem Stockeinsatz schaffe ich auch das. Und nach einem weiteren Blockfeld erreiche ich den Wanderweg, auf dem ich vor zwei Jahren eine Handvoll Bergkristalle gefunden habe. Jetzt ist es aber wirklich geschafft!
Der Abstieg dauert allerdings länger als gedacht und meine Verpflegung ist fast aufgebraucht. Vor dem letzten Anstieg werfe ich mir meine letzten Salz- und Magnesiumtabletten ein und starte langsam hinauf zum letzten Pass. Der Anstieg zieht sich, die Sonne brennt auf mich herab und ich habe an diesem Tag eigentlich schon genug erlebt. Oben angekommen, breche ich in Tränen aus – auch der letzte Anstieg ist geschafft! Jetzt muss ich nur noch ins Tal hinunter. Doch der Weg hinab schlängelt sich den Berg entlang und es geht doch auch immer wieder bergauf. Ich kämpfe mich durch eine große Schafherde und werde von einigen Hirtenhunden um Streicheleinheiten angefleht. Es ist schön zu sehen, wie aufmerksam sie auf ihre Herde achten und bestimmt jede kleinste Bewegung rundherum wahrnehmen. Ich steige zügig ab, doch meine Beine scheinen zu wissen, dass es bald vorbei ist und werden immer müder. Bis ich dann den kleinen roten Fleck neben dem See sehe, der darauf wartet, mich wieder nach Hause zu bringen.
Am Ende dieser vier intensiven Tage in den Seealpen wird mir einmal mehr klar, wie wichtig es ist, sich immer wieder bewusst in der Einfachheit des Moments zu verlieren. Dort oben, fernab von Hektik und Verpflichtungen, lernt man, den ständigen Lärm im Kopf auszuschalten. Das unaufhörliche Gedankenkarussell, das im Alltag kaum stillsteht, verstummt allmählich mit jedem Schritt, den man tiefer in die Berge setzt. Ich bin unheimlich froh und dankbar, dass ich in dieser ursprünglichen, manchmal auch gnadenlosen Bergwelt, einen Ort gefunden habe, an dem ich einfach sein konnte – ohne Erwartungen und ohne das Ego, das so oft unser Handeln bestimmt.
Die Schönheit der Landschaft, der klare Rhythmus der Schritte und das Gefühl, von der Natur aufgenommen zu werden, haben mich durch jeden einzelnen Tag getragen. Ohne Ablenkung und jegliches Übermaß, dass uns sonst begleitet, hat für eine kurze Zeit nur das Wesentliche gezählt: das Atmen in der frischen Bergluft, das Fühlen des Bodens unter den Füßen, der Blick auf den weiten, endlosen Horizont, ein einfaches Essen und Schlaf. Es ist genau diese wilde, aber ehrliche Umgebung, die mich wieder fühlen lässt, dass weniger oft mehr ist. Sie zwingt dich, in den Moment zu kommen und dich einfach nur auf das zu konzentrieren, was direkt vor dir liegt. Und mit jedem Schritt findest du wieder näher zu dir selbst. Durch diese Einfachheit konnte ich wieder tiefe Kraft und Ruhe tanken. Danke. Grazie. Merci beaucoup et à bientôt!
Ultraleicht Trekking Packliste:

Leider ist das Foto und das Equipment darauf jenes, das ich für die warme Temperatur mit dem kleinen Rucksack geplant habe. Wenn du aber Fragen zu meinem finalen Rucksack hast, dann melde dich gerne!
Trekkingequipment
Biwaksack (der dann gegen ein fast gleich großes bzw. schweres Nordisk Lofoten ULW2 Zelt inkl. Groundsheet getauscht wurde)
Schlafsack (Therm-A-Rest Hyperion 32)
Matte (Vaude)
Kochen & Verpflegung
(bis auf die Trekkingnahrung alles in einem kleinen Multibag von Skinfit transportiert)
Taschenkocher mit Brennstofftabletten (hier hatte ich erst mit 2-3 Tabletten pro Tag gerechnet, aber dann am Morgen doch noch 8 Stück mehr mitgenommen - aber auch nicht alle gebraucht)
Feuerzeug
Tasse 400 ml als Topf (die war über den Tag in einem Plastikbeutel über meine Matte gestülpt um Platz zu sparen)
Klappteller (den brauchte ich nur fürs Frühstück, damit ich Kaffee & Frühstück gleichzeitig genießen kann - wer es einfacher will, braucht den nicht)
Göffel & kleines Klappmesser
2 L Soft Flasks (1x mit Wasserfilter um überall auffüllen zu können)
650ml hitzefeste Trinkflasche (hauptsächlich als Wärmflasche genutzt)
Gefriergetrocknete Nahrung (Ich nehme gerne Tactical Foodpack, da dies vegane Trekkingnahrung ist und keine Zusatzstoffe beinhaltet)
Porridge (Mische ich selbst mit Haferflocken, gefriergetrockneten Erdbeeren, Kokosmilchpulver und etwas braunen Zucker)
Jellies, Riegel und Salztabletten
Kaffeesticks
Kosmetik
(natürlich alles im Mini-Format in einem kleinen Zip-Plastikbeutel transportiert)
Taschentücher
Feuchttücher
Trekking Dusche (auch von Tactical Foodpack - genial, wenn es zum baden einfach zu kalt ist)
Creme für Gesicht & Hände
Sonnencreme
Lippenbalsam
Deo
Zahnbürste & Zahnpasta
Kontaktlinsen + Zubehör
Handtuch
Ohrstöpsel
All Wash Gel (Duschgel, Shampoo und Waschmittel in einem)
Bekleidung
(das war der ursprüngliche Plan bei gutem Wetter - aufbewahrt in einem kleinen Skinfit Multibag, der in der Nacht gleichzeitig als Kopfkissen dienen durfte)
1 leichte Shorts
1 leichte lange Hose für den Abend & zum Schlafen
Regenjacke & Regenhose
2 Paar Socken + 1 Paar warme Socken für die Nacht
Stirnband & Mütze
1 T-Shirt & 1 Top zum Laufen
1 Top zum Schlafen
1 Langarm Shirt
1 dünne Jacke
1 Primaloft Jacke (diese habe ich in einem Flexbag außen am Rucksack angebracht)
Ärmlinge
Unterwäsche
Sturmschal
Sonnenbrille
Handschuhe
Trailrunning Schuhe
Letztendlich bestand allerdings mein Tagesoutfit aus einer windfesten Tights, einem Funktionsunterwäsche Top, darüber ein Langarmshirt und wenn es kalt war noch eine Hybridjacke darüber. Ich hatte zusätzlich außerdem noch eine weitere Fleecejacke sowie eine Lauftight eingepackt. Bis auf das Tagesoutfit hatte ich beim Schlafen dann auch wirklich alles an, was ich dabei hatte (auch die Regenhose!).
Weiteres Equipment
Erste Hilfe Minipack (inkl. Blasenpflaster und Magnesiumtabletten)
Stirnlampe inkl. Ladekabel
Mobiltelefon + Ladekabel
GPS Uhr + Ladekabel
Powerbank (das elektronische Equipment war in einem kleinen Zip Beutel verstaut)
Karte (sowohl digital offline gespeichert als auch gedruckt)
Mini Notizbuch inkl. aller wichtigen Telefonnummern und Stift
Ausweis, Geld und Kreditkarte
Müllsack (und ich habe noch ein paar kleine Plastikbeutel zusätzlich mitgenommen, für zB dreckige Wäsche, Feuchtigkeitsschutz, etc.)
Trekkingstöcke
Krims Krams wie etwas Tape, Multistrap, Sicherheitsnadeln
Ohne die Verbrauchsmaterialien hatte der Rucksack keine 5 kg gewogen. Durch den Umstieg auf den größeren Rucksack und das schnelle Zusammenpacken des zusätzlichen Equipments kann ich allerdings leider nicht mehr sagen, wie viel mein Rucksack nun final gewogen hat. Es steht aber fest, dass ich samt meines Gepäcks leicht in so manche Trekkingrucksäcke anderer gepasst hätte ;).

PS: Das Biwakieren ist sowohl im Parco Natural di Alpi Marittime als auch im Parc National du Mercantour jeweils von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang erlaubt (Stand 2024). Bitte informiere dich genau, was in dem Gebiet erlaubt ist, bevor auch du eine solche Tour planst.
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